Rosas – Anne Teresa de Keersmaeker Early Works 1982-1987

 

© Herman Sorgeloos

Mit dem vierten und letzten Tanzabend von Rosas‘ Early Works im Grand Théâtre Luxembourg schließt sich der Kreis. So hebt sich Bartók/Mikrokosmos (1987) von den ersten drei Abenden deutlich ab. Hier lassen die Musik und die Choreographie Anne Teresa De Keersmaekers Absicht, die Freude am Tanz und am Spielen in den Vordergrund zu rücken, gleich im ersten Teil – Mikrokosmos, Seven Pieces for Two Pianos – erkennen. Erstmals in der Tanzreihe treten ein Tänzer (Jakub Truszkowski) und eine Tänzerin (Elizaveta Penkova) im Duett auf, begleitet von Klaviermusik von Béla Bartók (interpretiert von Jean-Luc Fafchamps und Stephane Ginsburgh an zwei Konzertflügeln). Es ist ein verspielter Tanz zwischen Mann und Frau, mit einer Körpersprache voller Ausdruck, reaktiv und auf neckische Weise herausfordernd. Klassische Bewegungen enden in modernen Bewegungen, mit vertraut anmutenden Berührungen, die sogleich in die nächste Bewegung übergehen, mit der sich die Tänzer übertrumpfen und nachahmen. Zu Bartóks 4. Streichquartett Quatuor No. 4 im dritten Teil tanzen vier Tänzerinnen (Tale Dolven, Elizaveta Penkova, Sandra Ortega Bejarano, Sue-Yeon Youn), wie das Tänzerpaar im ersten Teil in Schwarz gekleidet, eine mitreißende Choreographie voll energiegeladener Bewegungselemente. Steht die Choreographie zu Bartók/Mikrokosmos sonst im Kontrast zu den von Wiederholungen lebenden Choreographien der anderen Abende, lässt sich in diesem Teil De Keersmaekers Handschrift wiedererkennen: an den aus dem Alltag entnommenen Bewegungen, den Armbewegungen, dem Spiel mit Tempo und Wiederholungen und der besonderen Acht auf Bewegungsfeinheiten. Die Choreographie ist voller Drehungen, Sprünge und Tanzschritte, die so lange augenscheinlich synchron ausgeführt werden, bis eine der Tänzerinnen aus der Reihe ausbricht und verschmitzt ein kurzes Solo tanzt. Das Zusammenspiel zwischen dieser Choreographie und der Musik von Béla Bartók (interpretiert von Ictus), in das die Freude an der Bewegung selbst einfließt, ist greifbar. Die Tänzerinnen interagieren miteinander, lächeln einander und dem Publikum zu, legen zwischendurch kurze Pausen ein, um sich erneut scheinbar miteinander zu messen. Ihre Körpersprache drückt sich in oftmals betont weiblichen und expressiven Bewegungen aus. Zwischendurch schlägt übermütig ein Bein aus – und ein Rock wird hochgeworfen, der Hintern frech dem Publikum zugewandt. Ein Klavier-Intermezzo verbindet den ersten und dritten Teil des Abends. Monument/Selbstporträt mit Reich und Riley (und Chopin ist auch dabei)/In zart fließender Bewegung (Musik: György Ligeti, interpretiert von Jean-Luc Fafchamps und Stephane Ginsburgh) wird an zwei parallel gestellten Konzertflügeln gespielt, während zwei Tänzerinnen die Notenblätter für die Pianisten wenden. Die Musik setzt mit angestrengten Akkorden ein, die das Ohr als entgegengesetzte Melodien zu vernehmen meint, weist minimalistische Variationen auf, wie auch kennzeichnend für Reichs Musik, monotone Melodien, die ineinander verschwimmen und sich zu einem fast elektronischen Klang entwickeln.

Im ersten Tanzabend, Fase (1982), einer der bekanntesten Choreographien von Anne Teresa De Keersmaker, setzt sie diesen minimalistischen Charakter von Steve Reichs Musik in ihrer Choreographie auf bemerkenswerte Weise um. Die in vier Phasen aufgebaute Choreographie – Piano Phase, Come Out, Violin Phase und Clapping Music – wiederspiegelt die erstaunliche Konsistenz der für Reichs Musik typischen scheinbar unveränderlichen Wiederholungen. Fase ist zudem die Choreographie der vier Tanzabende von Rosas, die Anne Teresa De Keersmaeker selbst mittanzt. Bis auf die dritte Phase von Fase sind sie zu zweit (Anne Teresa De Keersmaeker und Tale Dolven), im schlichten Kleid in der ersten und dritten Phase, in mausgrauer Hose und Hemd in der zweiten und vierten Phase, und wiederholen schrittweise Bewegungen ebenso exakt wie synchron zur Musik. Die dritte Phase ist im Gegensatz zu den anderen Phasen ein Solo, getanzt von De Keersmaeker, in dem sie entlang und inmitten eines gezeichneten Kreises aus konsequent wiederholten, ausdrucksvollen Bewegungen gelegentlich ausbricht.

© Herman Sorgeloos

 

Die Choreogrpahie des zweiten Abends, Rosas danst Rosas (1983) wird von vier Tänzerinnen (Tale Dolven, Sandra Ortega Bejarano, Elizaveta Penkova, Sue-Yeon Youn), in T-Shirt, Rock und Leggings gekleidet, zu Musik getanzt, die mit aggressiven, lauten Sounds, rhytmischen Tönen und tickenden Geräuschen beginnt und immer wieder von Stille unterbrochen wird (Musik: Thierry De Mey, Peter Vermeersch). In diesem Stück nehmen die Tänzerinnen die gesamte Bühne ein; so ordnen sie einmal die Stühle neu an, ein andermal liegen sie auf dem Boden, als entspannten sie sich in einem Park, stützen die Köpfe in die Hände, greifen sich plötzlich an die Stirn, als wäre fiele ihnen etwas ein. Bisweilen werfen sie sich lächelnd Blicke zu. An anderer Stelle tritt eine der Tänzerinnen ins Bühnenlicht und tanzt eine Serie sich wiederholender Bewegungsabläufe, während der sie einmal ihre Schultern entblößt, kokett ins Publikum lächelt und gleich darauf ihre Schultern wieder bedeckt und eine ernste Miene aufsetzt. Dieses kokette Bewegungselement wird in einer anderen Szene wieder aufgegriffen, in der die Tänzerinnen, zumeist auf Stühlen sitzend, ihr Haar zurückwerfen, lächeln, ihre Beine übereinander schlagen und dann mit einem Satz aufspringen, um sich wieder mit nachdenklicher Miene auf die Stühle zu legen. Die Bewegungen werden zeitweise mit einer Synchronität getanzt, die sich von Folge zu Folge leicht verschiebt und die Simultanität aufbricht, dies wiederum mit einer Genauigkeit, dass die Bewegungen auf brillante Weise wieder synchron scheinen.

In Elena’s Aria (1984), dem dritten Tanzabend von Rosas, werden französische und deutsche Buchausschnitte von drei abwechselnd in einem Lehnsessel seitlich der Bühne sitzenden Tänzerinnen vorgetragen. Dies wechselt sich mit Arien und Geräuschen (Musik interpretiert von Friedrich Gulda) – vielleicht von einem alten Radio übertragen – oder häufig nur mit Stille ab, während alte Filmausschnitte projiziert werden; und einige Male stellt eine der Tänzerinnen eine Windmaschine an. Die insgesamt fünf Tänzerinnen (Sue-Yeon Youn, Tale Dolven, Fumiyo Ikeda, Cynthia Loemij, Samantha Van Wissen), in cremefarbenem Cocktailkleid, führen die Choreographie mal mit den auf der Bühne angeordneten zahlreichen Polsterstühlen aus, mal auf der freien Bühnenfläche. Langsam, zögerlich, ja fast sinnlich schiebt erst eine Tänzerin ihr Kleid ein Stück ihre Beine hoch und bewegt sich dabei auf eine von Tango inspirierte Weise, dreht sich, balanciert und schreitet auf elegante, feminine Art entlang der Kreislinie, mit abrupten und expressiven Bewegungen, um nach und nach von den restlichen Tänzerinnen gefolgt zu werden. Die Bewegungen sind nicht synchron, verschmelzen vielmehr ineinander. In der letzten Szene sitzen die Tänzerinnen auf Stühlen vor dem herabgelassenen Vorhang, als ruhten sie sich aus, streichen ihr Haar aus dem Gesicht, wischen sich über die Stirn, mit einem fernen, fast träumerischen Blick – dies in mehreren Wiederholungen, bis das Licht ein letztes Mal ausgeht.

 

Johanna Wolter

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