Renaissance von Ernst Blochs Jahrhundertwerk „Geist der Utopie“

 

Mehr als neunzig Jahre nach dem erstmaligen Erscheinen des Buches „Geist der Utopie“ des Philosophen Ernst Bloch (1885-1977) beginnt eine Renaissance der öffentlichen Rezeption. Diesem Bedürfnis kamen die beiden Leitmedien der Bloch-Diskussion in ihren neuesten Ausgaben nach. Das von Francesca Vidal im Namen der internationalen Ernst-Bloch-Gesellschaft herausgebrachte „Bloch-Jahrbuch 2012“ unter dem Titel „Einblicke in Bloch’sche Philosophie“ und der von Frank Degler für das Ernst-Bloch-Archiv in Ludwigshafen edierte „Bloch-Almanach 31/2012“ diskutieren das Bloch’sche Schlüsselwerk, mit dem er unter anderem auf den I. Weltkrieg reagierte.

Das „Bloch-Jahrbuch 2012“ beginnt mit einem Text von Matthias Henke über die Beziehung des Philosophen Bloch zu dem Komponisten Ernst Krenek. Es ist dies eine sehr programmatische Arbeit, da sie als Aufforderung zu verstehen ist, sich zukünftig noch intensiver um Blochs Musiktheorie, deren Eingebundenheit in die Diskussionen seiner Zeit und in interdisziplinäre Arbeitsweise Blochs, die befruchtet wurde durch den Dialog mit Komponisten und Musiktheoretikern, zu beschäftigen. Iwan Boldyrews philologische Arbeit zeigt sehr präzise die Unterschiede in den Fassungen von ‚Geist der Utopie‘ und korrespondiert derart mit der Aufforderung von Werner Wild, das Werk zum Anlass zu nehmen, Entwürfe einer besseren Welt in Bezugnahme auf ‚Geist der Utopie‘ zu entwickeln. Gert Ueding selbst widmet sich der bisher vernachlässigten Bedeutung der Komik im Bloch’schen Werk und kann so auch zeigen, dass Philosophen wie Nietzsche und Schopenhauer dessen Denken beeinflusst haben. Jürgen Jahn dokumentiert jüngste Zeitgeschichte, er belegt detailgetreu wie die Stasi einen Maßnahmenplan erarbeitete, um das in der DDR verbliebene Eigentum der Blochs, seine Korrespondenzen, seine persönlichen und wissenschaftlichen Unterlagen, so wenig wie möglich herauszugeben und dies mit dem Bedürfnis nach Sicherheit legitimierte. Francesca Vidal greift noch einmal das Verhältnis Blochs zum Bauhaus auf, um deutlich zu machen, dass es ihm auch hier nicht um Ablehnung, sondern um produktives Erbe ging. Barbara Smitmans-Vajda beleuchtet in der literarischen Form des fiktiven Gesprächs die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Denken von Bloch und Lukács. Gordana Škorić, Schülerin von Gajo Petrović, einem der wichtigsten Denker der Zagreber „Praxis-Gruppe“ und Freund Blochs, fordert eingängig eine erneute Betrachtung der Moderne zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dem folgen Hinweise auf schon bestehende Initiativen zur Förderung der Forschung wie etwa die von Heiko Hartmann und Welf Schröter geschilderten Bemühungen um eine Kritische Gesamtausgabe des Werkes von Ernst Bloch. Abgeschlossen wird der Band durch Rezensionen, die auf aktuelle, die Bloch-Forschung berührende Neuerscheinungen hinweisen.

Der jährlich erscheinende „Bloch-Almanach“ ist eines der weltweit führenden Fachperiodika zur Philosophie Ernst Blochs. In den Ausgaben „Bloch-Almanach 30/2011“ und „Bloch-Almanach 31/2012“ – letzterer erscheint in Kürze – publizieren verschiedene Fachvertreter ihre Perspektiven auf die Begriffe Zeit, Zeitlichkeit und Ungleichzeitigkeit. Dabei werden Bezüge zu Politik und Religion ebenso hergestellt wie zur Geschichte.
In der Ausgabe des Jahres 2011 schreiben Johann Kreuzer (Zeitphilosophie. Von den antiken Grundlagen – bis Ernst Bloch), Denis Thouard (Soziale Zeit, gelebte Zeit. Simmels Denken der Zeitlichkeit), Jakub Čapek (Bergson und Husserl über Erlebnis und Zeitlichkeit), Florence Hulak (Die Geschichte der Ungleichzeitigkeit bei Marc Bloch) und Marc de Launay (Eine Schuld der Philosophie gegenüber der Bibel: die historische Zeitlichkeit).
Der gerade erscheinende „Bloch-Almanach 31/2012“ präsentiert Beiträge von Enno Rudolph (Von der Geschichtsphilosophie zur Politik. Zeit und Geschichte bei Walter Benjamin), Ralf Becker (Zeit als Reihe und als ekstatische Sammlung. Essay), Welf Schröter (Bloch und Rosenstock-Huessy. Zwei Wege des „Noch-Nicht“) und Norbert Walz (Lebenszeit und die Utopie der Unsterblichkeit).

Francesca Vidal (Hg.)
Bloch-Jahrbuch 2012
Einblicke in Bloch’sche Philosophie
Anlässlich des 70ten Geburtstags von Gert Ueding
Mit Beiträgen von Matthias Henke, Ivan Boldyrev, Gert Ueding, Jürgen Jahn, Francesca Vidal, Barbara Smitmans-Vajda, Heiko Hartmann, Welf Schröter, Werner Wild, Johan Siebers, Gordana Škorić, Gerd Koch, Ulrich Müller-Schöll, Rainer E. Zimmermann
2012, 224 Seiten, br., 24,00 €, ISBN 978-3-89376-149-4

Frank Degler (Hg.)
Bloch-Almanach 30/2011
Periodikum des Ernst-Bloch-Archivs der Stadt Ludwigshafen am Rhein
Mit Beiträgen von Volker Braun, Martin Seel, Thilo Götze Regenbogen, Paula Böttcher, Johann Kreuzer, Denis Thouard, Jakub Čapek, Florence Hulak, Marc de Launay, Welf Schröter und Frank Degler
2011, 184 S., br., 19,5 h x 12,5 b, 15,00 €, ISBN 978-3-89376-144-9

Frank Degler (Hg.)
Bloch-Almanach 31/2012
Periodikum des Ernst-Bloch-Archivs der Stadt Ludwigshafen am Rhein
Mit Beiträgen von Ernst Bloch, Dietmar Dath, Christina Gehrlein, Eckhardt Köhn, Johan Siebers, Micaela Latini, Enno Rudolph, Ralf Becker, Welf Schröter, Norbert Walz und Frank Degler
2012, 208 S., br., 19,5 h x 12,5 b, 15,00 €, ISBN 978-3-89376-148-7

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