Am 19. November 2024 wäre Oskar Holweck (1924-2007) 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass präsentiert die Moderne Galerie des Saarlandmuseums seit dem 12. Oktober 2024 bis zum 5. Januar 2025 die Ausstellung Oskar Holweck – Form und Textur. Retrospektive zum 100. Geburtstag.
Oskar Holweck, ein Pionier der konkreten Papierkunst, scheint aktueller denn je: seine Werke zeigen eine besondere Sensibilität für die unmittelbare Umgebung und die Formenvielfalt vorhandener Materialien. Im Konzeptuellen gegründet, sind seine Werke zugleich sinnlich, intuitiv und vielschichtig.
Im Jahr 1958 wählte Holweck Papier als sein bevorzugtes künstlerisches Medium. Wiederholt nahm der Künstler selber Stellung zu seiner Arbeit. Dabei betonte er Themen wie „Möglichkeit“, „Variation“ und „Iteration“ — oder die „Selbstäußerung des Materials,“ wie er es nannte.[1] Das Papier, so schrieb Holweck immer wieder, beispielsweise im Jahr 1981, „trägt die Gestalt, die ich ihm durch Beeinflussung gebe, bereits in sich.“[2] Seine selbstauferlegte Aufgabe bestand darin, die Potenziale des noch nicht Realisierten sichtbar zu machen. Variation ist dabei ein integraler Bestandteil seiner Kunst.
„Selbst bei stets gleichbleibender Tätigkeit unter strenger Beibehaltung metrischer Bewegungsabläufe entstehen ebensoviele Formvariationen wie man diese Tätigkeit wiederholt; … Bedenkt man, daß sich Tätigkeiten miteinander gleichzeig und/oder nacheinander kombinieren und in der Reihenfolge der Anwendung permutieren lassen, dann steigt die Zahl der Möglichkeiten an Formvariation in der Materialäußerung immens“, so Holweck.[3]
Aus diesem Spiel mit Variationen sowie dem ständigen Zurückkehren zum scheinbar Gleichartigen schuf Holweck ein unvergleichliches Werk. Es lädt uns ein, immer wieder aufs Neue zu schauen, Perspektiven zu wechseln, das Bekannte aus neuen Blickwinkeln zu betrachten und die immer neuen Möglichkeiten von Form und Text in unserer Erscheinungswelt zu betrachten.
Ausstellung
Unter dem Titel Form und Textur zeigt die Ausstellung im Saarlandmuseum die vielfältigen Möglichkeiten, die Oskar Holweck mit dem Material Papier über fast fünf Jahrzehnte hinweg entwickelt hat. Doch ist die Entscheidung, diese Aspekte als Leitfaden der Ausstellung zu wählen, nicht nur ästhetisch-formalistisch zu verstehen. Die Ausstellung thematisiert auch Holwecks künstlerische Entwicklung, eine Betrachtung, die sich bei einer Retrospektive anbietet. Gezeigt werden rund 70 Werke aus den Jahren 1956 bis 1996, wobei das Spektrum von expressiven Tuschezeichnungen bis hin zu Papierskulpturen reicht. Die Exponate stammen aus der Sammlung des Saarlandmuseums, dem Oskar Holweck Nachlass sowie öffentlichen und privaten Sammlungen in Deutschland. Einzelwerke werden als Teil eines übergreifenden Ganzen präsentiert, um den Künstler in seinem Schaffen umfassend vorzustellen.
Vier Werkgruppen bestimmen die Struktur der Ausstellung:
Den Auftakt bilden Tuschezeichnungen ab 1956. In der frühesten Arbeit, 15 IX 56, zeigt sich Holwecks Nähe zum Informel. Wilde, freie Kurven entstehen durch das Herausschleudern der Tusche aus einer Pipette. So expressiv manche Blätter wirken mögen, Holwecks Interesse galt weniger dem Ausdruck seiner persönlichen Impulse, sondern vielmehr der Reaktion der Tusche mit dem Papier. Werke wie 2 A XI. 57 richten den Blick auf die einzelnen Elemente: Tropfen, deren Abstände und Reihen. Neben der Pipette benutzte Holweck auch Feder und Pinsel, wie in C 58 5. I 58 / 2. Seine Werke tragen seit 1956 nie beschreibende Titel, sondern das tagesgenaue Entstehungsdatum. Es sind Momentaufnahmen des Kontakts mit dem Material. Betrachtet in der Serie, adressieren sie sowohl das Flüchtige als auch die Kontinuität.
Während zu Beginn der Ausstellung Themen wie „Neuansätze“ und „Wiederaufnahme“ berührt werden, rücken im Folgenden Aspekte des Experimentierens mit dem Papier selbst in den Vordergrund. Ab 1958 begann Holweck tiefer in das Material einzugreifen. Das Papier wird fortan auf unterschiedliche Weise gerissen, durchstoßen, gefaltet, geknüllt (15 XI 69 / 01). Der Künstler formte das Papier bevorzugt mit den Händen, nutzte jedoch auch Instrumente wie Hammer, Bohrmaschine oder Nagelbrett, wie bei dem seriellen Unikat o. T. (I/I-I/XX), um so „das Innere des Materials untersuchen zu können“.[4] Neben weißem Papier arbeitete er auch mit vorgefundenem Material, so entstand beispielsweise die Arbeit 18. 7. 74 aus Zigarettenschachteln.
Einen dritten Schwerpunkt bilden Kunstwerke, die Holwecks konzeptuellen Ansatz der kontrollierten Variationen nochmals in den Vordergrund stellen — die sogenannten Buchobjekte. Holweck ließ unbedruckte Bücher, meistens aus handelsüblichem Schreibmaschinenpapier, anfertigen und überlegte sich konkrete Handlungsprinzipien, die er nach einem vorher festgelegten Ablauf durchführte. Diese Herangehensweise erzeugt unerwartete Formen, wie in den Objekten 12 IV 82, 20 VIII 83 / 1 oder 2 VIII 85. Ihre Resultate können nur bedingt kontrolliert werden. Dennoch sind sie ohne Holwecks strikte Anleitungen nicht zu denken.
Die Ausstellung endet mit Werken aus den achtziger und neunziger Jahren, die erneut Textur als zentrales Element in Holwecks Kunst herausstellen — wie die Collage/Décollage 25 III 89 aus über Leimlinien gerissenen Streifen. Die Arbeiten zeichnen sich durch größere Formate und eine starke räumliche Präsenz aus (17 VIII 89). Die Reißgrafik 27 IX 94 zeigt Spuren einer Zeichenbewegung, die aus dem ganzen Leib heraus entstanden scheint und verkörpert noch einmal Holwecks Einwirken in das Material.
Perspektiven auf Holweck
In ihrer Gesamtheit machen die Werke die Möglichkeiten, Variationen und Iterationen von Form und Textur erfahrbar. Jede Arbeit kann aus diesen Perspektiven heraus betrachtet und erläutert werden. Neben den Werkgruppen beleuchtet die Ausstellung außerdem verschiedene Perspektiven auf Holwecks Persönlichkeit, unterteilt in vier lose Stränge.
– Zeitgefühl ZERO: Mit seinen Tuschezeichnungen wurde Holweck frühzeitig über das Saarland hinaus bekannt. Ab 1958 nahm er an den ZERO-Ausstellungen teil und wurde fester Bestandteil dieser Kunstströmung. Seine Verbindung zur ZERO-Bewegung wird in der Ausstellung in unterschiedlicher Form thematisiert.
– Holweck medial: Der Künstler lehnte Einladungen zur documenta 1959 und 1977 ab und seine Heimatregion, das Saarland, hat er kaum jemals verlassen. Dennoch war er national und international in über 400 Ausstellungen vertreten, und er trat auch medial nach außen. Holwecks mediale Präsenz wird in der Retrospektive eigens beleuchtet.
– Holweck konzeptuell: Holweck reflektierte immer wieder seinen konzeptuellen Ansatz und veröffentlichte seine Erkenntnisse in der Ausstellung und Publikation Sehen, mit der er sich vor allem zwischen 1958 und 1968 beschäftigte. Auch dieser konzeptuelle Schwerpunkt wird in der Ausstellung vorgestellt.
– Holweck im Saarland: Seinem Wirken im Saarland gilt besonderes Augenmerk. Holweck war in Saarbrücken als Akademielehrer tätig. Dabei baute er die pädagogischen Grundlagen seines eigenen Lehrers, Boris Kleint, aus und wirkte von 1956 bis zu seiner Pensionierung 1989 als Leiter der Grundlehre. In dieser Position prägte er mehrere Generationen von Künstler*innen maßgeblich.
In einem umfangreichen Begleitprogramm werden diese und andere aktuelle Perspektiven auf Holweck weiter vertieft.